j3fm – Foto-Grafiken
Einführung zur Vernissage
Kunstraum j3fm, 15. Februar 2019
von Rolf Blume
Foto-Grafiken (mit Bindestrich!) nennt Anette Leupold konsequent ihre besondere Kombination aus Fotografie und digitaler Kunst, die in ästhetischer Hinsicht der Malerei viel näher scheint als der Fotografie.
Was unterscheidet das fotografische Bild vom gemalten?
Die Fotografie galt historisch immer als der Inbegriff von Abbildung der Realität und von dokumentarischer Wahrheit, als quasi Abdruck der objektiven Wirklichkeit, weil durch den Apparat gemacht, nicht von Menschenhand. Sie war deshalb als Kunst lange nicht anerkannt, auch von den Fotografen selbst nicht.
Tatsächlich hat bereits die frühe analoge Fotografie schnell enorme künstlerische Techniken und Freiheiten entwickelt. Die Digitalisierung hat die Möglichkeiten um ein Vielfaches gesteigert. Aus heutiger Sicht muss man eher sagen, dass gerade die frühe Fotografie – beinahe ausschließlich – artifizielle Werke erzeugt hat. Zeichnete sie sich doch aus: durch komplizierte Technik, angewandt von Spezialisten und Experimentierern, sowie durch inszenierte Situationen in den Studios, körnige, verwackelte oder unscharfe Bilder außen, und immer schwarz-weiß, also immer artifiziell und nur bedingt abbildhaft, wenn auch zunächst erzwungener Maßen. Inzwischen ist die überwältigende Mehrheit aller Fotos zwar banal, aber – farbiges Abbild der Realität! Alle fotografieren alles, jederzeit, und „teilen“ das mit allen, in Echtzeit und weltweit. So dass sich heute die Frage nach der Rolle der Fotografie in der Kunst (neu) stellt.
Es gibt umfangreiche Theorien und Gedanken zur Frage wie subjektiv und konstruiert auch Fotos immer schon waren. Ich denke, es bleibt ein besonderes Element des Fotografischen den unmittelbaren Moment des Augenblicks festzuhalten, was gleichzeitig bedeutet, mit der Vergänglichkeit zu arbeiten, schließlich beides in die Zukunft zu transferieren.
Und damit komme ich zu Anette Leupolds Verhältnis von, bzw. Umgang mit Fotografie und Grafik. Ganz klassisch steht bei ihr das fotografische Motiv am Anfang. Es ist nie inszeniert, vielmehr ein zufälliges aber bewusstes Fundstück. Mit einer handlichen Digitalkamera ausgerüstet, durchstreift sie kleine urbane ‚Nicht‘-Orte. Dort findet sie besprayte und beklebte Wände, Lichtmasten oder Schaltkästen, verwahrloste Baustellen, angerostete Container usw.; „abgewrackte Stellen“, wie sie selbst sagt.
Sie geht langsam, denn ihr fotografischer Blick richtet sich auf strukturelle Besonderheiten kleinster Details, auf das grafische Potential meist winzigster Motive. Sie wählt aus allernächster Nähe (und zur Not auch liegend) genau den Bildausschnitt, den wir später im fertigen Werk sehen. Dann jedoch erheblich vergrößert und ästhetisch verwandelt.
Dieses langwierige sorgfältige Festlegen des endgültigen Bildausschnittes vor Ort ist geradezu bewundernswert altmodisches Foto-Handwerk! Es sichert eine hohe Auflösung und maximale Freiheit für die spätere Bildgröße. Es zwingt außerdem zu frühzeitiger gedanklicher Konzeption der späteren Grafik; im Kopf entsteht ein erster Vorentwurf.
Die so gewonnenen Fotos sind die Grundlage für die eigentliche Bild-„Entwicklung“ am Rechner. Dort werden sie von Anette Leupold in akribischer Kleinarbeit digital bearbeitet und verfremdet.
Wer sich schon einmal intensiver mit Bildbearbeitungs-Programmen beschäftigt hat, weiß, dass sie nicht nur sehr viele, sehr komplexe und scheinbar unberechenbare Werkzeuge bereit halten, sondern dass sowohl deren fachliche Aneignung als auch die Anwendung viel Geduld erfordern. Nicht ohne Ironie nennt Anette Leupold sich selbst „ The Grandmaster of Bereichsreparaturwerkzeug“. Dieses Werkzeug gibt es tatsächlich. Und es weist nebenbei darauf hin, wofür die Bildprogramme eigentlich gemacht sind.
Sie lassen sich aber natürlich auch für das Gegenteil sehr gut verwenden, die „Reparatur der Wirklichkeit“ oder die Herstellung bzw. Erfindung von Kunstwerken. Anette Leupold entwickelt so eine beeindruckend eigenständige Kombination aus Fotografie, Grafik, Streetart und Digital-Kunst.
Der „trashige“ Ursprung ist in den fertigen Arbeiten nur sehr bedingt zu vermuten, er wird vor allem überhaupt nicht bemüht, bzw. bedient! Im Gegenteil, es entstehen vielmehr hochartifizielle abstrakte Bilder, die Leupolds Gespür für Struktur und Proportion, Form und Farbe erkennen lassen. Sie sind alle titellos – konsequenterweise, wie ich finde.
Sie erzählen m.E. weniger Geschichten, vielmehr eröffnen sie fantastische Denkräume oder Möglichkeitsräume. Sie lassen uns betrachtend assoziieren zwischen Nah- und Fernsicht, zwischen mikroskopischem und astronomischem Blick. Die tatsächliche Dimension des realen Ursprungs bleibt uns nicht nur verborgen, man glaubt ihn einfach auch nicht. Man fragt sich das vor allem, weil gesagt wurde, dass wir es (auch) mit Fotografie zu tun haben. Leupolds Foto-Grafiken aber wirken beinahe handgemacht, erinnern eher an Malerei mit pastosem Auftrag, mehrschichtigen Siebdruck oder filigrane Farbradierungen, im Zweifel einen Mix aus allem. Bilder, die vordergründig gar nicht als Fotografie auftreten. Unterstützt wird das durch den Verzicht auf Hochglanz, Glas und Rahmen.
Mit einer überraschenden Ausnahme – über die ich hier nichts sage – die man im Kontext der übrigen Arbeiten sehen muss. Sehen Sie selbst: „11 abstrakte und einen alten Meister“ die Foto-Grafiken von Anette Leupold.